Halle überrascht nicht nur mit seiner Marktkirche
Kleine Schwestern haben es nicht leicht. Vor allem wenn sie fette Pickel im Gesicht tragen und sich nicht zu schminken verstehen. Leipzig ist schon aufgedonnert, da kommt Halle einfach noch nicht mit.
Halle überrascht nicht nur mit seiner Marktkirche, sondern auch mit einer intakten und gut sanierten Innenstadt. Doch geht man ein Stück heraus, aus diesem Kern, sieht es aus wie in Leipzig vor 15 oder 20 Jahren. Unsaniert, grau und trist. Also hat die Stadt noch großes Potentzial. Zwanzig Minuten mit der S-Bahn bis zum Leipziger Marktplatz oder andersherum. In Leipzig steigen die Mieten nicht nur, weil die Berliner hier hin fliehen, sondern weil der Zuzug in Folge eines Trends exorbitant ist. Der New Yorker zieht der günstigen Mieten wegen nach Berlin. Der Berliner nach Leipzig und der Leipziger nach Halle. Die nächste Trendstadt könnte also Halle an der Saale sein.
Freilich steht der schlechte Ruf Sachen-Anhalts – mit seinen 2,25 Millionen Einwohnern – dem großen Erfolg im Weg.
Der Chemiebezirk war zu DDR-Zeiten die Essenz der damaligen Ideologie und gleicher als gleichgeschaltet. Auch nach dem Anschluss an Westdeutschland hatte dieser Landstrich großes Pech, was das politische Personal anbetrifft. Manche Ministerpräsidenten wirkten nicht nur lächerlich, Sie waren es auch.
Über den Zusammenschluss von Halle und Leipzig wurde schon ernsthaft diskutiert. Gleichwohl werden solche Vorhaben regelmäßig von egoistischen Partikularinteressen torpediert, obwohl sie eigentlich nur logisch sind.
Mich hat Halle jedenfalls bei meinem letzten Besuch positiv überrascht. Freilich fanden zu dieser Zeit die Händel-Festspiele statt und der Markt war voller Musik. Beim Kaffee trinken blickte ich auf die Zwillingstürme der Marktkirche Unser Lieben Frauen. In dieser Kirche war ich noch nicht.
Selten ist eine gotische Kirche von außen so unspektakulär und überrascht um so mehr durch ihr Innenleben.
Als ich den großen dreischiffigen Kirchenraum betrat, tat sich gleichsam ein Licht auf. Außen durch ihren romanischen Ursprung beeinflusst trumpft innen die lichte, himmelstrebende Gotik auf. Noch vor dem Flügelaltar der Cranachschule wird der Blick von dem reichen Stabwerk des Deckengewölbes angezogen.
Ein Schüler des Lucas Cranach des Älteren fertigte nach des Meisters Entwürfen den Altar an. Es ist eine schöne Arbeit, welche sich gut in die Kirche einfügt.
Der Kenner bemerkt wohl, gerade an den etwas gleichförmig geratenen Porträts, dass dies eine Schülerarbeit ist. Dies tut der Sache aber nicht weh, da sich der Altar gut in den Raum fügt und in allen seinen Elementen stimmig ist.
Dieser Altar ist einer der vielen aus Cranachs Werkstatt im Raum Sachsen und Sachsen-Anhalt. Letztens entdeckte ich eine fantastische Arbeit Lucas Cranach des Jüngeren in der Augustusburger Schlosskirche. Frisch restauriert ist diese auf alle Fälle einen Abstecher wert.
Die Rückwand der Orgelempore wurde 60 Jahre später durch den weitgehend unbekannten Hallenser Maler Heinrich Lichtenfels bemalt. Ein gut strukturiertes Gemälde, welches den Raum nach hinten und oben öffnet.
Flapsig gesagt ist die Kanzel der absolute Hingucker.
Mit Ihr setzt die aufkommende Renaissance ein deutliches Zeichen in dem gotischen Kirchenschiff.
Bemerkenswert ist der geschnitzte Schalldeckel. Einem überbordend geschmückten Weihnachtsstern gleich, krönt dieser die Kanzel allein zum Zweck des Predigers Wort zur Gemeinde hin zu reflektieren.
Was Luther von dieser dekadent katholisch anmutenden Kanzel hielt, ist nicht überliefert. So recht vorstellen kann man sich nicht, dass er in seinem einfachen mönchischem Gewand zwischen 1545 und 1546 drei Mal unter diesem Protzstern stand und Bescheidenheit und Demut predigte.
Die Hauptorgel der Marktkirche stammt aus der Werkstadt von Christoph Cunius und wurde von Johann Sebastian Bach höchstpersönlich abgenommen. Deren Prospekt ist bis heute erhalten. Das Orgelwerk wurde jedoch 1984 durch die Orgelbauwerkstatt Alexander Schuke ersetzt.
Nicht nur mit diesem vollendeten Raum der deutschen Spätgotik kann Halle an der Saale aufwarten. Selbst die wohl am längsten geöffnete Wurstbude Deutschlands befindet sich in einem architektonischen Kleinod.
Also – wenn Sie mal in der Gegend sind denken sie an Halle und machen Sie einen kleinen Ausflug. Oder suchen Sie sich gleich eine Herberge im Halle und fahren mit der S5 nach Leipzig. So haben Sie zwei Städte auf einmal und dazu ein günstigeres Hotel als in Leipzig, wenn sich nicht gerade zu den Händelfestspielen in Halle sein wollen.